Ein Beitrag von Sonja Walke
Hallo, mein Name ist Sonja, und ich bin hangry: Hungrig nach neuen Formen des Zusammenlebens und wütend über nicht endende Krisen. Mein Besuch in der Ausstellung „Nimmersatt?“ und der Workshop „Wachstums Blues“ mit Raul Walch haben mich dazu gebracht, die Idee von „grünem Wachstum“ zu hinterfragen. In meinem Gastartikel möchte ich meine Gedanken dazu, ob wir damit die Klimakrise überwinden können, mit euch teilen.
Dass die Klimakrise vielen, insbesondere jungen Leuten Sorgen bereitet, lässt sich inzwischen nicht mehr leugnen. Die letzte Shell Jugendstudie ergab beispielsweise, dass die Mehrheit der Jugendlichen Umweltverschmutzung und Klimakrise als ein Problem wahrnehmen, das ihnen Angst macht[i]. Doch wo im Kapitalismus ein Problem, da auch eine Antwort in Form von Konsum.
Um das Unbehagen, das Klimaangst oder Solastalgie in uns auslösen, zu betäuben und unser Gewissen zu beruhigen, sind wir gerne dazu bereit, ein wenig mehr zu zahlen für ein Produkt, das verspricht, besser zu sein. Zum Glück wird man da schnell fündig: „nachhaltiger“, „conscious“, oder „responsable“ schreibt sich inzwischen jedes zweite Unternehmen auf die Fahne. Eine Kollektion aus alten Fischernetzen? Super! Aussortierte Klamotten zum Recycling bringen, um einen Rabatt auf den nächsten Einkauf zu bekommen? Gerne! … Und so wird unser aktuelles buy and waste-System im Namen der Nachhaltigkeit perfektioniert. Unternehmen profitieren dabei von der Tatsache, dass Konsument*innen sich einfache Lösungen wünschen. Genauso eine einfache Lösung scheint auch das übergeordnete System – die Form des Zusammenlebens – zu sein, auf das wir zusteuern: Eine Marktwirtschaft mit grünem Wachstum.
Als erstes müssen wir aber feststellen: Grünes Wachstum ist keine wirklich neue Form des Zusammenlebens. Denn grünes Wachstum basiert auf demselben System, in dem die Klimakrise entstanden ist[ii]: Kapitalismus – nur eben in grün.
Während das von denjenigen befürwortet wird, die sich auf die Notwendigkeit von Innovationen für den Klimaschutz berufen,[iii] machen Aktivist*innen, die sich für sogenannte „Klimagerechtigkeit“ einsetzen deutlich, dass die Klimakrise tief mit dem Kapitalismus und anderen unterdrückenden Systemen verflochten ist [iv] – und diese Form des Wirtschaftens folglich ein Teil der Wurzel allen Übels ist. Diese Wurzel „auszubuddeln“, um etwas Neues zu pflanzen, stellt uns vor eine große Herausforderung – denn wie heißt es so schön? Es ist einfacher, sich das Ende der Welt auszumalen, als das Ende des Kapitalismus. Das Argument der (scheinbaren) Alternativlosigkeit hat sogar einen Namen: TINA, there is no alternative.
Wenn es dann doch mal um die einzig vorstellbare Alternative – Planwirtschaft, Kommunismus bzw. Sozialismus – geht, dann heißt es meistens, dass das historisch noch nie funktioniert hat. Aber wisst ihr, was historisch auch noch nie funktioniert hat? Das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch und den CO2-Emissionen zu entkoppeln[v].
Es steht also 1:1 im Spiel um die Utopien. Klarer Favorit scheint für viele trotzdem das grüne Wachstum oder der grüne Kapitalismus zu sein, zumal es dafür keinen wirklichen Systemwandel braucht: Ein paar Anreize hier, ein bisschen Nudging da, et volià! Jüngst kam sogar eine Studie über die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu dem Schluss, Wachstum durch den Ausbau erneuerbarer Energien sei möglich[vi]. Allerdings geht es da erstmal nur um einen Sektor – ob dieser Hoffnungsfunke also auch auf alle anderen Wirtschaftszweige und die gesamte Weltwirtschaft übertragbar ist, wage ich zu bezweifeln[vii].
Vielleicht beweisen mir die grünen StartUps, die gerade überall aus dem Boden sprießen, ja das Gegenteil – aber auch das scheint mir unwahrscheinlich: Zwar sind ihre Produkte oft sehr Mainstream-fähig, doch die dahinterstehenden Geschäftsmodelle basieren meist auf oder profitieren vom Status quo. Das heißt: Ihr Wachstum entsteht durch das „Retten“ von zu viel Produziertem – seien es PET-Flaschen, Brötchen oder Jeans – und stabilisiert damit ein System, in dem Überproduktion und Ressourcenverschwendung als normal hingenommen werden. Trotzdem fühlen wir uns beim Shoppen gut, schließlich haben wir durch unseren Kauf ja Ressourcen geschont (das will uns zumindest das Schild weismachen, das an unserer neu gekauften Jeans baumelt und auf dem sich irgendwer dafür bedankt, dass wir so ein guter Mensch sind und den Planeten retten).
… Und so wird aus „be the change you wish to see in the world“ durch erfolgreiches Marketing schleichend „buy the change you wish to see in the world“. Eine Revolution durch Konsum also? Eher nicht, denn wir können und werden uns die Welt nicht grün konsumieren[viii].
Doch wie sonst könnte unser Zusammenleben in Zukunft aussehen? Einige Ideen habe ich in der Ausstellung „Nimmersatt? Gesellschaft ohne Wachstum denken“ aufgeschnappt, die sich mit Postwachstum auseinandersetzt – einem Zeitalter, in dem Nachhaltigkeit an die Stelle von Wirtschaftswachstum treten soll[ix]. Ein wichtiges Kriterium für eine Postwachstumsgesellschaft kann Empathie sein. Ein Ende der Selbstausbeutung würde die Grundlage für Zeitwohlstand[x] schaffen – Zeit, in der wir lesen, ins Museum gehen oder in der Hängematte schaukeln könnten.
Dabeiwürden die planetaren Grenzen nicht überschritten – und qualitatives Wachstum[xi] könnte quantitatives Wirtschaftswachstum ablösen. Diese Idee verfolgt im Grunde auch die Postwachstums- bzw. Degrowth-Bewegung. Laut gleichnamiger Website des Konzeptwerks hat das zunächst eher traurig klingende Wort dabei einen entscheidenden Vorteil: “dass es unbequem ist und sich nicht leicht einverleiben lässt“[xii]. Was sich im ersten Moment nach einer geplanten wirtschaftlichen Depression – also einer Wachstumswirtschaft, die nicht mehr wächst – anhört, ist eigentlich ein neues Verständnis von Wachstum und Wohlstand. Es geht um ein Mehr an Qualitäten, die in der klassischen, wachstums- und wettbewerbsorientierten Gesellschaft oft zu kurz kommen: Soziale Gerechtigkeit, Teilhabe, und Muße beispielsweise[xiii].
Im Workshop mit Raul Walch hat einer der Teilnehmer aber auch dazu eine spannende Bemerkung gemacht: Selbst wenn wir das „immer mehr“ des materiellen Konsums hinter uns lassen, wollen wir auf eine andere Art trotzdem immer mehr. Oft sind es dann Bildung, Wissen, Erfahrungen, Reisen oder Erlebnisse, die wir stattdessen sammeln und von denen wir nicht genug bekommen können. Und auch die Nachfrage danach erzeugt irgendwo Wirtschaftswachstum.
Wie nachhaltig das ist und ob sich diese Idee durchsetzt oder ob es doch auf grünes Wirtschaftswachstum hinausläuft (oder auf etwas ganz anderes) – ich kann es nicht wirklich sagen. Aber das hält mich nicht davon ab, die Idee eines besseren Zusammenlebens zu verfolgen und auf ein Ende der Krisen zu hoffen.
[i] Shell. (2019). Zusammenfassung der 18. Shell Jugendstudie. https://www.shell.de/about-us/shell-youth-study/_jcr_content/par/toptasks.stream/1570708341213/4a002dff58a7a9540cb9e83ee0a37a0ed8a0fd55/shell-youth-study-summary-2019-de.pdf
[ii] „Wenn man in der Geschichte zurückblickt, dann sieht man, dass wir ab dem Beginn des Kapitalismus, seit der industriellen Revolution, angefangen haben, fossile Energieträger aus dem Boden zu holen und zu verbrennen. Und damit ist die CO2-Konzentration in der Luft angestiegen.“ In: Expertin über Klimakrise und Kapitalismus: „Eine Abwrackprämie auf alles“ – taz.de
[iii] so z.B. die FDP: “innovative Ansätze und neue Technologien sind ein wesentlicher Motor des Klimaschutzes”
[iv] so z.B. die Linksfraktion: “Wir dürfen nicht zulassen, dass das kapitalistische Wirtschafts- und Konsumsystem deren Lebensgrundlagen in wenigen Jahrzehnten unwiederbringlich zerstört.”
[v] „Es gibt kein Beispiel eines Staates, in dem es gelungen ist, Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß zu entkoppeln.“ – Carla Reemtsma in: Fuentes, R. L. (2021, Oktober 22). Aktivistin Reemtsma über Klimaerwärmung: „Grünes Wachstum bleibt Illusion“. Die Tageszeitung: taz. https://taz.de/!5809895/
[vi] „Wachstum durch den Ausbau erneuerbarer Energien ist möglich. Das zeigt die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung über die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch.“ In: Wendepunkt: Entkopplung von CO2-Emissionen und Wirtschaftswachstum. Heinrich-Böll-Stiftung. Abgerufen von https://www.boell.de/de/2015/09/22/wendepunkt-entkopplung-von-co2-emissionen-und-wirtschaftswachstum
[vii] „Dank technischer Innovation und gesteigerter Effizienz lässt sich zwar durchaus eine relative Entkoppelung in vielen Bereichen beobachten. Diese ist jedoch aufgrund von Verlagerungseffekten und Rückkopplungen nicht auf die weltweite Gesamtwirtschaft übertragbar. Dies gilt umso mehr, wenn nicht nur CO2 Ausstoß, sondern auch andere, nicht minder wichtige ökologische Grenzen mitbetrachtet werden.“ Aus: Degrowth – eine realistische Vision? https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/degrowth-eine-realistische-vision/
[viii] Neben der Tatsache, dass auch für eine Jeans aus Bio-Baumwolle Ressourcen verbraucht werden, liegt das an Rebound-Effekten: Rebound-Effekte | Umweltbundesamt
[ix] LWL stimmt Gemeinschaftsausstellung „Nimmersatt?“ zu
[x] Den Begriff habe ich von Autor Stefan Boes geliehen: Stefan Boes – Zeitwohlstand für alle – Perspective Daily Bücher (perspective-daily.de)
[xi] „Schon Aristoteles hat gesagt, dass es verschiedene Formen des Wachstums gibt. Heute sprechen alle von den Grenzen des Wachstums – richtig: Grenzen des quantitativen Wachstums. Aber Wachstum kann ja auch qualitativ sein. Und qualitatives Wachstum hat keine Grenze. Wenn ich Hölderlin immer besser verstehe, also meine Hölderlin-Qualität zunimmt, sprenge ich damit nicht die planetaren Grenzen; trotzdem bin ich gewachsen.“ In: Agora 42, Ausgabe 01/2022: Interview mit Markus Gabriel, S. 41
[xii] Hauwehde, J., & Zwerenz, M. (2021). Great green thinking: Vielfältige Perspektiven auf ein nachhaltiges Leben (1. Auflage). &Töchter., S. 165
[xiii] Degrowth – eine realistische Vision? https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/degrowth-eine-realistische-vision/