Gründungsrede von Marian Heuser anlässlich der Gründung des Ministeriums durch Vamos e.V. im LWL-Museum für Kunst und Kultur
Meine sehr geehrten Erwachsenen und diejenigen, auf die es wirklich ankommt,
mir wird hier und heute die große Freude und Ehre zuteil, ein paar einleuchtende – ich meine, einleitende – Worte von mir zu geben. Heute ist ein Feiertag, da wir nicht weniger als das Bundesministerium für Schrumpfung, Glück und ein gutes Leben für ALLE gründen werden. Die Gründung dieses Ministeriums, in diesem Teil der Welt und zu dieser Zeit, markiert einen längst überfälligen Wendepunkt und ich möchte einmal kurz erläutern, was mit „längst überfällig“ gemeint ist:
Jahrzehnte haben wir uns am Höher, Schneller und Weiter ergötzt und dabei die Realität verdrängt, wie die Wassermassen das Ahrtal. Über mehrere Generationen hinweg haben wir das leidige Spiel aus „Produzieren, Kaufen und Wegwerfen“ bis zur Perversion betrieben, während wir den Planeten und unsere gesamte Zivilisation, sehenden Auges, vor die Wand gefahren haben. Und Herrgott, was waren wir dabei für widerliche Drecksäcke… Weil Kinderarbeit bei uns verboten wurde, haben wir unsere Produktion einfach in Länder verlagert, in denen sie erlaubt war. Das hatte den doppelten Vorteil, dass wir das Elend nicht mit ansehen mussten und trotzdem finanziell davon profitieren konnten. Im Fachjargon hieß das dann „Win-Win Situation durch Outsourcing“ und wir haben sogar teilweise noch das Etikett „Entwicklungszusammenarbeit“ draufgeklebt, weil wir so fucking abgebrüht waren. Auf ähnliche Weise sind wir auch um unsere eigenen Umweltstandards herumgekommen. Wir haben zum Beispiel einfach weiter, wie bekloppt, Plastikmüll produziert (außer Strohhalme, die haben wir verboten) und haben den ganzen Mist dann tonnenweise zum „Recycling“ nach Malaysia verschifft, wohlwissentlich, dass sich das Zeug gar nicht recyceln lässt und dort drüben nicht mal eine vernünftige Verbrennungsanlage steht. Aber wie heißt es so schön? Aus den Augen, aus dem Sinn. Apropos Verbrennung: Die Kohlendioxidemissionen haben wir innerhalb von nur 40 Jahren mehr als verdoppelt und die weltweite Artenvielfalt hingegen halbiert. Wer kann, der kann. Wir sind geflogen und gefahren wie die Weltmeister (wenn uns niemand davon abgehalten hat, sogar im Kreis) und unseren Urlaub haben wir auf schwimmenden Hochhäusern „all inclusive“ verbracht, um anschließend überfressen und debil in den Sonnenuntergang zu grinsen. Wir nannten es Kreuzfahrt – wahrscheinlich, weil uns damals schon dämmerte, dass wir eines Tages viel zu beichten hätten. Auf vielerlei Weise ist uns so das Kunststück gelungen, jährlich so viel CO² in die Atmosphäre zu blasen, wie der Planet innerhalb von einer Millionen Jahre in der Erde hätte speichern können. Aber immerhin hatten wir ja auch das perfekte Argument für all dies parat und es lautete: Wachstum. „Ohne Wachstum kein Wohlstand“, hieß es immer und das reichte uns als Begründung völlig aus, selbst als dieses Wachstum nur noch einem Selbstzweck diente. Dass der Wohlstand immer weniger Menschen zugutekam, das konnte man überall auf der Welt beobachten, angefangen von den Hungersnöten, über die Flüchtlingsströme, bis hin zu den alten Leuten, die in unseren Städten nach Pfandflaschen in Mülltonnen suchten. Das alles war so offensichtlich, wie es uns egal war. Fast eine Milliarde Menschen war weltweit von Unterernährung bedroht und parallel dazu haben wir, allein in Deutschland, rund 300 Gramm… Pardòn! … 300 Kilogramm intakte Lebensmittel weggeworfen – und zwar jede einzelne Sekunde. Global betrachtet haben wir jährlich die Hälfte aller Lebensmittel weggeschmissen, was in Summe ca. zwei Milliarden Tonnen pro Jahr entsprach und mit denen man bis zu drei Milliarden Menschen hätte ernähren können… wenn wir nur gewollt hätten. Selbst der Teufel muss neidisch gewesen sein, wenn er uns bei der Arbeit zugesehen hat. Und wir haben ja nicht nur Lebensmittel weggeworfen, Gott bewahre! Wir haben eine schier unglaubliche Anzahl an Müllvarianten erfunden, da sind wir wirklich äußerst kreativ gewesen. Um nur die Bekanntesten zu nennen:
Treibhausgase, Gülle, Plastikmüll, radioaktive Abfälle, giftiger Elektroschrott und Verantwortung – jawohl, richtig gehört. Verantwortung war und ist schon immer der schwarze Peter unter den weltweiten Abfallprodukten gewesen. Verantwortung wollte wirklich niemand haben. Wir wussten von der baldigen, globalen Süßwasserknappheit und fuhren trotzdem, alle Nase lang, schön in die Autowaschanlage und nein, wir sahen da auch ums Verrecken keinen Zusammenhang. Woanders kamen Kinder auf Deponien zur Welt und wir benutzten Mülltonnendeos… es war schon bizarr. Uns störte der Geruch mehr als die Tatsache, dass Menschen, die auch du und ich hätten sein können, irgendwo so leben mussten. Deren Armut war uns einfach zu abstrakt. „Ihr habt kein Brot? Dann esst doch Kuchen“, riefen wir ihnen von der Reling unserer Clubschiffe zu, während wir über den Ozean der Armut hinwegschipperten.
Ja, uns ging es richtig gut. Wir hatten Frieden, Fleisch im Überfluss und fraßen Früchte deren ferne Herkunftsländer wir weder aussprechen noch auf dem Globus ausfindig machen konnten und das war nicht einmal schlimm, weil es uns egal war. Alles was wir zu benötigen meinten, war im Überfluss vorhanden und woher es kam, wie es entstand, oder was es letztendlich war, schien für unseren Fortbestand völlig unerheblich geworden zu sein. Egal ob Wurst, Strom, Öl, Brot, Wasser, Kaffee, Papier, Gas, Glas, Ceranfelder, Möbel, Kühlschränke, Mikrowellen, Handies, Autos, Klimaanlagen oder das Internet. Was auch immer es war, es war da. Wir hatten uns so sehr daran gewöhnt, dass wir unser Privileg kaum noch realisierten und so gaben wir es von Generation zu Generation weiter: „Nimm dir was du brauchst und das was du nicht brauchst auch“, „Das haben wir immer schon so gemacht“, „Glaube an ewiges Wachstum und hinterfrage nicht“, „Das da sind Wirtschaftsflüchtlingen mein Kind. Nein, die brauchen kein Wachstum, für die reichen ein paar Zelte und Stacheldraht“.
Das konnte nicht gut gehen und das ging es auch nicht. Die Ressourcen verknappten sich mehr und mehr, die Preise explodierten, die globale Temperatur stieg mit dem Meeresspiegel um die Wette, überall flammten Konflikte auf und inmitten dieses Krisen-Cocktails kamen wir dann doch mal auf die Idee, dass man jetzt eigentlich, so ganz langsam, vielleicht doch so ein bisschen etwas ändern müsste, sollte, könnte – solange es der Wirtschaft nicht schadet. Widerwillig und notgedrungen blickten wir in die Zukunft und fassten uns vor lauter Halbherzigkeit ein halbes Herz.
Doch dann waren da plötzlich diese jungen Menschen. Zuerst nur ein paar, dann immer mehr. Sie kritisierten was wir taten und forderten uns zum Handeln auf. Wir hatten es ihnen so nicht beigebracht, und waren dementsprechend empört, aber sie machten einfach weiter. Sie stellten unangenehme Fragen, sie propagierten „Weniger ist mehr“, sie forderten Werte ein, die wir schon längst vergessen oder nie kennengelernt hatten und als diese jungen Menschen letztendlich verstanden, dass wir niemals entschlossen und in ihrem Sinne handeln würden, nahmen sie das Heft des Handelns einfach selbst in die Hand – und das ist auch gut so.
Gut auch, dass es Orte wie diesen hier gibt, denn wir brauchen Entfaltungsräume für all die neuen Ideen. Wir brauchen Dialogfenster wie diese, um uns gegenseitig in die Gedanken schauen zu können. Wir brauchen Austausch über das, was ausgetauscht werden muss. Wir brauchen Gemeinschaft, nicht Gemeinheit und wir müssen ehrlich sagen können, wie wir uns fühlen, um dauerhaft mit anderen mitzufühlen zu können. All das wird uns Kraft schenken. Kraft die wir brauchen werden, für den Weg vom Ich, zum Du, zum neuen Wir, im Gemeinschaftsprojekt das sich Zukunft nennt.
Nun lasst uns geh’n, der Weg wird weit
Doch wir müssen ihn nun wagen
Bitte fragt nicht nach der Zeit
Denn Zeit ist alles, was wir haben
In deinem Kopf wohnt ein Vielleicht
Und dein Verstand fragt nach dem Wie
In deinem Herz, da wohnt ein Immer
In uns‘rer Angst da wohnt das Nie
Und es wohnt Hoffnung nur in Taten
Der Erfolg, er wohnt im Ziel
Es wohnt die Ungeduld im Warten
Wie das Zuwenig im Zuviel
Es wohnt die Einsicht im Vermissen
Wie der Fortschritt im Versteh’n
Es wohnt Veränderung im Wissen
Und die Lösung im Problem
© Marian Heuser 2022